Russische Gaststube

Zum Samowar

Die Geschichte vom „schockierten Yaroslav“
oder
 
„Hat der Borschtsch eine Nationalität Teil 1“

Einleitung

Es gibt ein Redensart, die da lautet: „Wenn einer eine Reise tut, dann hat er was zu erzählen.“ In einer etwas abgewandelten Form, möchte ich diese Redewendung aufgreifen und meine: „Wenn einer ein Restaurant hat, dann hat er viel zu erzählen, sehr viel!“

Den Anstoß hierfür, gab Yaroslav, der uns im Mai 2022 bei Google mit einem Stern bewertete, weil er, wie er selber schreibt: „…schockiert war von der Speisekarte…“ und die Frage stellt: „Wie kann es russischen Borschtsch geben, wenn es ein ukrainisches Gericht ist?“ Weiter unterstellt mir der schockierte Yaroslav, dass ich nicht über korrekte Kenntnisse der Kultur (russischen/ukrainischen) verfüge.
Wen diese Rezension im Detail interessiert und wer wissen möchte, was ich Yaroslav daraufhin antwortete, der kann sich in unseren Google Rezensionen über den genauen Wortlaut/Inhalt informieren. Update: Die Rezension wurde am 11.06.2022 vermutlich zurückgezogen oder gelöscht!
Im Übrigen, wollte Google die Rezension nicht löschen, weil diese nicht gegen Googles Richtlinien verstößt. Dabei ist es wohl unerheblich, dass die Rezension, wie wir im Folgenden noch erfahren werden, nicht auf der Grundlage der Erfahrungen mit unseren Speisen, der Qualität dieser und auch nicht mit unserem Service gegeben wurde, sondern eindeutig politisch motiviert war.

Schockiert muss Yaroslav eigentlich nicht sein, nur weil wir den Borschtsch in unserem Menü als „Russischen Borschtsch“ bezeichnen. Es gibt weitaus triftigere Gründe über etwas oder jemanden schockiert sein zu müssen, z. B. ein Unternehmen im Internet zu diskreditieren, weil einem eine Bezeichnung eines Gerichtes nicht korrekt erscheint. Ja, ich denke das wäre ein Grund schockiert zu sein, aber Schwamm drüber.

Im Folgenden geht es also um meine persönlichen Erfahrungen zum Thema Borschtsch, um einen kurzen geschichtlichen Exkurs zum Gericht und zur Erörterung der Frage, warum der Borschtsch zum „Zankapfel“ geworden ist und wie künftig damit umgegangen werden kann.

Aus dem Samowar-Nähkästchen geplaudert

In den 14 Jahren, in denen ich nun mein Lokal zusammen mit meiner Frau betreibe, wurde ich ganze dreimal auf das Thema ukrainischer oder russischer Borschtsch angesprochen. Drei Mal! Jedes Mal waren es Gäste ukrainischer Herkunft (ich gehe davon aus, dass Yaroslav auch ukrainische Wurzeln hat, sonst hätte sich die Frage nach der Bezeichnung kaum gestellt), die diese Formulierung zum Anlass nahmen, um mich zu belehren, mich zu rügen bzw. zu diskreditieren oder einfach in einen konstruktiven Diskurs mit mir zu treten.

Ich kann mich noch genau an die erste Situation in 2009 erinnern. Damals, kurz nachdem wir unser Lokal in Halle öffneten, kamen noch sehr häufig russischsprachige Gäste zu uns. Zu ihnen zählten viele Russlanddeutsche, jüdische Russen, jüdische Ukrainer (ich hoffe, das darf man noch so sagen), Deutsch-Kasachen, Armenier, Georgier, ja sogar aus Jakutien hatten wir schon Gäste. Die jüngeren Gäste kamen zum Feiern zu uns, die meisten älteren Gäste kamen eigentlich eher der Neugier wegen, so auch eine ältere Dame, die am zweiten Tisch Platz nahm. Mit ihren langen silbergrauen Haaren wirkte sie wie eine Apothekerin aus meiner Kindheit auf mich, sehr Weise und bedacht in ihrem Auftreten. Nachdem nun diese ihre Bestellung aufgab und unseren Borschtsch probierte, der ihr im Übrigen mundete, rief sie mich erneut zu sich an den Tisch. Mit erhobenem Zeigefinger, ähnlich wie die Lehrer in der ehemaligen Sowjetunion mit einem Zeigestock in der Hand – Habt Ihr das Bild vor Augen, habt Ihr´s…? – sagte Sie belehrend zu mir: „Junger Mann, Sie wissen wohl nicht, dass der Borschtsch aus der Ukraine kommt! Warum steht dann hier Russischer Borschtsch?“. Das war das erste Mal, dass ich mich, und ich muss gestehen, völlig unerwartet mit dieser Frage konfrontiert sah. Damals lautete meine Antwort noch: „Meine Frau, die diesen Borschtsch zubereitet kommt aus Russland, daher russischer Borschtsch!“.
Ich stellte mir jedoch die Frage, wie diese Frau darauf kam, mir eine solche Frage zu stellen, zudem noch so belehrerisch. Seither habe ich mich etwas intensiver mit dem Borschtsch befasst, um ggf. auf derartige Fragen vorbereitet zu sein.

Das zweite Mal wurde ich erst im vergangen Jahr 2021 wieder auf die Bezeichnung Russischer Borschtsch angesprochen. Dieses Mal von einer jungen, in Halle recht bekannten, ukrainischen Musikerin, die von Ihrem Bruder aus der Ukraine besucht wurde. Über den Borschtsch und dessen möglicher ukrainischen Herkunft kamen wir auch zum Unterschied zwischen russischen und ukrainischen Wareniki/Pelmeni bis hin zu polnischen Pirogi und russischen Piroschky. Mit dem Bruder, der anfangs mir gegenüber noch etwas ruhiger und distanzierter auftrat (vermutlich auch weil er kein Deutsch verstand), kam ich dann auf Russisch zum Thema Schaschlikfleisch ins Gespräch. Es war ein sehr interessanter Austausch und wir alle konnten uns einvernehmlich darauf einigen, dass der Borschtsch ein Gericht der slavischen Völker ist, weil dieser in fast allen Ländern Osteuropas in den verschiedensten Variationen zubereitet wird.

Zur dritten Nachfrage, insofern eine negative Bewertung bei Google so genannt werden kann, muss nicht mehr soviel gesagt werden, da ich hier bereits einiges in der Einleitung losgeworden bin. Ich möchte nur noch soviel anmerken, dass diese Reaktion bei weitem die unangemessenste zum Thema Borschtsch und seiner vermeintlichen Nationalität war/ist. Nochmal, es ging in der Rezension nie um den Geschmack, die Zutaten oder die Qualität unserer angebotenen Suppe!

Interessant: Wir durften bereits einige berühmte russische Stars in unserem Samowar beköstigen. Neben Oleg Popov, dem berühmten Clown, den hierzulande fast jeder kennt, waren auch Juri Kuklachev vom Moskauer Katzentheater, Galina A. Polskich eine sehr bekannte Schauspielerin sowie Valentin Smirnitsky, ebenfalls Schauspieler, bei uns. Letzterer spielte unter anderem den Portos in der sowjetischen Verfilmung von „Die drei Musketiere“. Alle haben bei uns Borschtsch gegessen und keiner von den Stars hat sich daran gestört, dass unser Borschtsch im Menü als „Russischer Borschtsch“ ausgewiesen wurde. Sie haben ihn einfach nur genossen, Oleg sogar dreimal an diesem Abend.
Yaroslav hingegen,  hat unseren Borschtsch nicht einmal probiert.


Geschichtliches zum Borschtsch

Nun gehen wir für Yarosloav und für alle anderen, die es interessiert, auf Spurensuche.
Um sich eine Übersicht zu verschaffen, einen begrifflichen und geschichtlichen Rahmen sowie Charakteristika (Zutaten/Rezepte) der Suppe zu erörtern, kommt man zumindest für den Alltagsgebrauch an Wikipedia nicht mehr vorbei. Yaroslav meinte in seiner Rezension zwar, dass er das nicht brauche aber eine Quelle für seine Aussagen zu benennen ist besser als keine zu haben.
Der Borschtsch wird bei Wikipedia als eine Suppe, die traditionell mit Roter Bete und Weißkohl zubereitet wird und vor allem in Ost- und Ostmitteleuropa verbreitet ist, beschrieben. Das Wort Borschtsch oder auch Barszcz wird mit dem Bärenklau in Zusammenhang gebracht, dessen junge Triebe im Mittelalter fester Bestandteil der Suppe gewesen sind.
Weiter informiert die freie Enzyklopädie über den so genannten „Borschtsch-Gürtel“, der die Regionen, in denen das Gericht zubereitet wird, genauer definiert. So zieht sich der Belt von Polen über Galizien, Rumänien, die Ukraine, Belarus bis hin zu Wolga und Don in Russland.
Regional Varianten sind aufgrund dieser Ausdehnung natürlich nicht auszuschließen. Während in der Ukraine und Russland der Borschtsch mit frischer unvergorener Roten Bete zubereitet wird, benutzen die Polen beispielsweise vergorene Rote Bete und garnieren den Borschtsch mit kleinen Teigtaschen mit einer Kraut-Pilzfüllung (Uszka, wie kleine Pelmeni).
Auch Variationen innerhalb der Ukraine, wie beispielsweise ein spezielles Kiewer Rezept mit Pilzen oder auch ein vegetarische Variante mit Bohnen sind nicht selten anzutreffen.
Eine besondere Art wäre auch die „Swekolnik“, ein kalter vegetarischer Borschtsch mit Kefir zubereitet, der/die in den heißen Sommermonaten eine willkommene und erfrischende Abwechslung bietet. https://de.wikipedia.org/wiki/Borschtsch

Auch andere Quellen sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, so zum Beispiel www.wortbedeutung.info/Borschtsch/


Politisch-kulturelle Aspekte

Der Borschtsch ist so vielfältig, wie die Regionen, in denen er verbreitet ist und in seinen Ausprägungen so zahlreich, wie die dort lebenden Familien, die ihre eigenen Rezepte von Generation zu Generation weitergegeben haben.
Dem Borschtsch einen eindeutigen nationalen Stempel aufdrücken zu wollen ist ein Unterfangen, welches durchaus in Frage gestellt werden kann. Aber woher kommen diese Anstrengungen? Wer ist daran interessiert, den Borschtsch sein Eigen zu nennen? Was bringt das?

Bei meinen Recherchen zur Herkunftsdiskussion des Borschtschs fällt ein Name immer wieder ins Auge, Jewgen Klopotenko. Jewgen ist in der Ukraine ein Starkoch, neben seinen Kochsendungen ist er derzeit auch durch seine sozialen Projekte in der Ukraine bekannt.
Im Oktober 2020, so schreibt die MoskauerDeutscheZeitung (MDZ) unter dem Titel „Wem gehört der Borschtsch?“, dass Jewgen Klopotenko einen randvollen 5 Liter Topf Borschtsch in das ukrainische Kulturministerium schleppte, diesen auf den Tisch wuchtete und sagte „Das müssen wir jetzt unterstützen!“.

Nur anbei bemerkt, einen 5 Liter-Topf auf den Bürotisch gewuchtet? Ich weiß gerade nicht, wie ich es jetzt nennen soll, wenn meine Frau unseren 15 Liter Topf auf den Herd hebt, aber 5 Liter gewuchtet ist ganz schön dick aufgetragen, oder? Aber zurück zum Thema.

Es trafen sich also die Experten des Kulturministeriums, diskutierten und aßen zweieinhalb Stunden lang Borschtsch und kamen dann zu dem Schluss, dass der Borschtsch "urukrainisch" ist, so zumindest der Artikel. Als Kulturpädagoge hätte ich mir einen solchen Job auch vorstellen können. Klopotenko forderte eindringlich: „Der Borschtsch muss geschützt werden es geht nicht nur um Essen, sondern um die kulturelle Identität der Nation.“

Mir drängen sich unweigerlich mehrere Fragen auf, vor wem oder was muss der Borschtsch geschützt werden? Wovor muss eine Suppe mit einem derartigen riesigen Ausbreitungsgebiet geschützt werden? Vor der Vereinnahmung durch ein einziges Volk vielleicht?

Natürlich vor Russland und nun wird der Borschtsch zum echten Politikum. In einem Twitter-Tweet von 2019 hatte wohl das Russische Außenministerium den Borschstch als eines der „berühmtesten und beliebtesten Gerichte Russlands“ bezeichnet. Klopotenko und viele andere Ukrainer, so der Autor des Artikels, sind der Auffassung, dass es sich um eine Provokation handelt. Bei allem Verständnis, kann ich hier keinerlei Potenzial für eine Provokation erkennen. Damit diese Aussage, welche eher statistischer Natur sein dürfte, diesen faden Beigeschmack einer Provokation erhält, argumentieren Klopenko und seine Befürworter: „Als wenn der Raub der Krim nicht schon genug wäre, klaut ihr der Ukraine jetzt auch noch den Borschtsch!“ Spätestens jetz ist der Borschtsch keine Suppe mehr, sondern ein Politikum.

Dass sich diese ukrainische Haltung jedoch nicht nur auf Russland beschränkt, zeigt ein Ereignis, welches im Rahmen einer russischen Corona-Hilfsmission für Italien für Aufruhr sorgte. Als die Italiener den Helfern aus Russland einen Borschtsch als kulinarische Dankesgeste kochten, ernteten diese auf Faceboock Kritik und Beschimpfungen. Von ukrainischer Seite warf man den Italienern fehlende Achtung vor. „Man hätte den Russen „Schtschi“ vorsetzen sollen.“

„Schtschi“ ist eine klare Kohlsuppe ohne Rote Bete und wird von den Ukrainern als eindeutig russisch angesehen.
Dieses Argument brachte auch der schockierte Yaroslav in seine Rezension auf Google vor. Dennoch, ich bin der Auffassung, dass es sich um zwei verschiedene Suppengerichte handelt. Die eine Suppe ausschließlich den Russen und die andere ausschließlich den Ukrainern als kulturelles Erbe angedeihen zu lassen ist völlig abwegig. Es ist, als würden wir (überspitzt dargestellt) in Deutschland eine Diskussion über die Herkunft eines Krauteintopf ohne Möhren und einer Möhrensuppe ohne Kraut führen, die eine Suppe ist urdeutsch und die andere österreichisch. Wem nützt dieser Streit?

Ein Russischer Musiker der Band „Maschina Wremeni“ (Zeitmaschine) meinte hierzu folgendes: „Was die Ukrainer damit erreichen wollen, ist mir unbegreiflich. Sollen sie ruhig denken, dass Borschtsch ukrainisch ist, mir wird davon nicht wärmer oder kälter“.

Das entspricht auch meinen bescheidenen Erfahrungen als Gastronom, auf der russischen Seite herrscht eher Gelassenheit zur Herkunftsdiskussion des Borschtsch. (https://mdz-moskau.eu/wem-gehoert-der-Borschtsch/)

Aber auch hierzulande ist der Borschtsch seit längerem „in aller Munde“  (im Samowar zum Beispiel - etwas Eigenwerbung).
Der mdr titelt am 13.02.2019 „Kulinarische Weltreise nach Russland. So groß wie das Land, ist auch seine kulinarische Vielfalt. Christian Henze kocht seine Lieblingsgerichte der russischen Küche, die mit kräftigen Aromen aus ganz einfachen Zutaten auch zu Hause gelingen.“ https://www.mdr.de/ratgeber/rezepte/rezept-kulinarische-weltreise-russland-borschtsch-blinis-pelmeni-100.html

In einem weiteren, zweiten Artikel vom 14.11.2020 wurde das Thema vom mdr durch Denis Trubetskoy (Kiew) erneut aufgearbeitet. Ein interessanter Artikel, wie ich meine, der noch mal viele Aspekte des Streites zum Borschtsch beleuchtet. https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/land-leute/ukraine-russland-streit-borschtsch-100.html

Auffällig ist allerdings, dass es zwischen den Artikeln des mdr und dem Artikel der MDZ so einige Parallelen gibt, weil wohl jeder vom anderen abschreibt und damit es nicht ganz auffällt, wird mal eben aus einem Bären ein Eber gemacht oder umgekehrt.

Der Autor schreibt beim mdr: “… im nordwestlichen Wolhynien wird der Borschtsch mit dem Blut eines frisch geschlachteten Ebers verfeinert.“

Ist das so, schlachten wir jetzt für jeden Borschtsch einen Eber, um aus Borschtsch eine braune Blutsuppe zu machen? Mich würde es nun absolut nicht wundern, wenn der Region Wolhynien bereits die Eber ausgegangen sind.

In der MDZ hingegen, wird der Sachverhalt so dargestellt: „Am stärksten beeindruckte die Forscher die Region Wolhynien an der polnischen Grenze. Dort habe man ihnen tiefroten Borschtsch aus dem Blut eines frisch geschlachteten Bären aufgetischt, erinnerten sich die Expeditionsteilnehmer in der ukrainischen Presse.“ https://mdz-moskau.eu/wem-gehoert-der-borschtsch/

Ja genau, der Mythos vom frisch geschlachteten ukrainischen Bären und dem tiefrot gekochtem Bärenblut. Ach kommt schon, ein frisch geschlachteter Bär? Mythen sind ja gut und schön, aber einfach mal die Füße still halten. Ich weiß nicht, wie es im Mittelalter wirklich war, vielleicht hat man ja tatsächlich aus Bärenfleisch die Bouillon gekocht und der Borschtsch wurde dann mit frischem Bärenfleisch gereicht, wer weiß das schon, es gibt ja keine Aufzeichnungen, oder!?

An dieser Stelle noch mal ein kleiner Hinweis, letztendlich ist es egal ob Bär oder Eber, wobei ersterer heute unter Naturschutz stehen dürfte, wenn man Blut kocht, wird es braun. Für tiefroten Borschtsch benötigt man mit Sicherheit kein Blut, das ist jedoch nur meine persönliche Meinung, ich lasse mich gerne überzeugen.

Wenn im ersten Artikel des mdr von 2019 noch vom Borschtsch im Zusammenhang mit der russischer Küche gesprochen wurde, wird bereits ein Jahr später, mit Hilfe eines "unabhängigen Experten" aus Kiew versucht, Argumente für die These des ukrainischen oder, wie in der MDZ erwähnt, urukrainisch Borschtsch zu finden. Denis Trubeskoy gibt in seinem Artikel allerdings auch zu, dass der Ursprung noch nicht sicher geklärt sei. Den Borschtsch gäbe es laut Kulturhistorikern seit dem Mittelalter auf dem Gebiet des Kiewer Rus, einem Reich auf dem heutigen Gebieten der Ukraine, Russlands und Weißrusslands. Dann wiederum schreibt er von einer ersten Erwähnung um 1718 im ostukrainischen Charkiw (also dem Rus?).
Also meiner Ansicht nach ist 1718 das Mittelalter längst vorbei, denn diese Zeit gilt als frühe Neuzeit. Es gibt also keine Nachweise für die Annahme, dass der Borschtsch bereits im Mittelalter um ca. 1500 existierte? Das ist eigenartig, und was ist mit der ersten Erwähnung, wo ist die Quelle hierfür, beim Abschreiben nicht gefunden?

Im April 2022 folgt ein dritter Artikel des mdr. Vorab möchte ich unbedingt anmerken, dass ich die Aktion des Vereins gemeinsam mit den ukrainischen Frauen wirklich gut finde, es geht mir hier nicht um dieses Projekt, sondern ausschließlich um das Aufzeigen des Wandels der Kommunikation zu einem speziellen Gericht im Laufe der Zeit!

In die Saalestadt geflüchtete Ukrainerinnen haben auf Initiative des Hansevereins eine Spendenaktion gestartet und kochten, so Atilla Dabrowski für den mdr,  „…gemeinsam das ukrainische Nationalgericht Borschtsch.“ und weiter, „…was da auf dem Herd steht, nicht einfach nur ein Topf Suppe. …in Halle kochen sie Borschtsch. Also das ukrainische Nationalgericht.“ Innerhalb weniger Zeilen wird vom Autor zweimal darauf hingewiesen, dass es sich um das ukrainische Nationalgericht handelt, dass es nicht einfach nur eine Suppe sei.
Bemerkenswert ist das letzte Foto des Artikels, welches ich hier aus Urheberrechtsgründen nicht zeigen kann. Auf einem Straßenaufsteller steht geschrieben: „…Borschtsch aus der Ukraine.“ Dass diese Frauen den Borschtsch nicht mitgebracht haben, diese Frage erübrigt sich, aber hier wird eine Formulierung ins Auge gefasst, die weniger Potenzial zum Zank hat. (https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/halle/ukraine-borschtsch-kochen-hanseverein-100.html)

Im Laufe der Zeit hat sich da spürbar einiges verändert. Eine Suppe, die, wie wir bereits erfahren haben, in vielen Osteuropäischen Ländern zuhause ist, wird auf der Suche nach der kulturellen Identität einiger Ukrainer, ohne ausschlaggebende wissenschaftlichen Be- oder Nachweise über die genaue Herkunft, zum politisierten Zankapfel zwischen der Ukraine und Russland stilisiert. Und was tut der mdr, er hat sein gutes Zutun daran.

Noch einmal eine Nachdenkfrage, nach allem was wir bis dato in Erfahrung bringen konnten, wenn der Borschtsch aus einem „Reich“ stammt, dem Kiewer Rus, damit ist nicht die Stadt Kiew gemeint, sondern ein riesiges Gebiet welches sich über einen Teil der heutigen Ukraine, Russlands und Weißrusslands ausdehnte, dann ist doch die Suppe des Begehrens aus heutiger Sicht ukrainisch, russisch und weißrussisch zugleich, schlussendlich ein  Nationalgericht der Volksgruppen des Rus  (https://de.wikipedia.org/wiki/Rus),  aus denen die heutigen Länder Russland, Weißrussland und Ukraine hervorgegangen sind.


Schlussgedanken


Wir haben bis hierher einiges erfahren über eine mögliche Herkunft, die Verbreitung, die verschiedenen Varianten einer Suppe mit dem Namen Borschtsch, welcher auf der Suche nach einer kulturellen Identität der Ukrainer (die Polen haben sich bis dato der Stimme enthalten) zum politischen Zankapfel stilisiert wurde. Wer damit wann angefangen hat, vermag ich nicht zu sagen. Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei, wer hat zuerst von meinem Löffelchen gegessen? Ich kann an dieser Stelle nur meine persönlichen Erfahrungen wiedergeben und da bleibt mir nur zu erwähnen, dass sich in den letzten 14 Jahren nicht ein einziger russischer Gast und auch keiner unserer polnischen, weißrussischen oder moldawischen Gäste über den Terminus „Russischer Borschtsch“ beschwert und mir Unwissenheit unterstellt hat.

Mein Vorschlag an alle, die dieses Thema derartig berührt, dass Sie bereit sind sich in unnötige Konfliktsituationen zu begeben, nennt den Borschtsch, wie Ihr es wollt und gesteht den anderen das gleiche Recht zu. Sprecht anderen nicht ungerechtfertigt kulturelle Kompetenzen ab, auch wenn sie nicht aus Eurem Kulturkreis kommen, vielleicht ist ja doch jemand dabei, den Ihr unterschätzt und damit unrecht tut.

Ein Lösungsvorschlag meinerseits wäre, sollen sich die Ukrainer den Begriff „Ukrainischer Borschtsch“ als regionale oder landestypische Handelsmarke von der EU schützen lassen, ähnlich wie es die Thüringer mit ihrer Rostbratwurst getan haben. Dann darf in den „Ukrainischen Borschtsch“ nur das rein, was nach ukrainischer Meinung für die Bestätigung ihrer kulturellen Identität in Bezug auf dieses Gericht von Nöten ist. So haben sie ihren eigenen „Ukrainischen Borschtsch“ und alle anderen (Polen, Russen, Weißrussen, Rumäner, Moldawier usw.) können ihren Borschtsch, der nicht nach dem geschützten Rezept zubereitet wurde, weiter nennen, wie sie möchten, nur eben nicht „Ukrainisch“. Und wenn die UNESCO dem Antrag der ukrainischen Initiatoren statt gibt, dann ist das auch gut aber es sollte auch verstanden und akzeptieren werden, dass nicht jeder Borschtsch ukrainisch ist und dass, wenn wir „Russischen Borschtsch“ in unsere Karte schreiben, das kein Angriff weder auf die persönliche, noch auf jedwede kulturelle Identität ist. Die Rezension vom schockierten Yaroslav allerdings schon.

Ich hoffe Ihr hattet ein wenig Spaß beim lesen und ich konnte für den einen oder anderen etwas Licht ins Dunkel bringen. Bis zum nächsten mal im Samowar zu einem Schälchen heißen „Russischen Borschtsch“, liebe Grüße Sven.










 

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